Warum ich mit meiner Angst spiele
Ich vermute, dass ich deutlich mehr Angst habe als viele andere Menschen. Denn in meiner Kindheit wurde ich traumatisiert, und seitdem begleiten mich Ängste in vielen Situationen, die für andere Menschen Routine sind.
Meine tiefsten Ängste sind die Angst vor Vernichtung und die Angst zu versagen.
Viele Jahre habe ich versucht, gegen diese Ängste zu kämpfen, vor ihnen wegzulaufen oder sie zu betäuben. Nichts von alledem hat mir wirklich geholfen. Es hat die Angst nur größer werden lassen und dazu geführt, dass ich immer verzweifelter versuchte, dieses Gefühl nicht zu spüren und loszuwerden:
- rastlose Arbeit,
- exzessives Fernsehen und Computerspielen,
- Streben nach Anerkennung im Außen,
- Rationalisieren meiner Gefühle,
- Fokus auf Geldverdienen,
- Vermeidung von tiefer Verbindung mit anderen Menschen,
- ...
Ich entwickelte Kontrollzwänge (zwanghaftes Grübeln über mögliche Risiken) und extremes Absicherungsverhalten (drakonische Arbeitsethik, vollständige Verleugnung meiner Bedürfnisse und People-Pleasing).
Im Studium hatte ich panische Prüfungsängste und schaffte von den für das 1. Semester angesetzten 30 Leistungspunkten nur 18. Ironischerweise war genau diese „schlechte Performance“ der Grund, warum ich beim psychologischen Dienst der Uni nach Hilfe suchte. Es ging mir damals nicht darum, meine Bedürfnisse besser wahrzunehmen oder mehr Glücksmomente in meinem Leben zu schaffen, sondern vielmehr darum, endlich wieder leistungsfähig zu werden.
Wahrscheinlich war es genau diese Einstellung zu mir selbst, weshalb mir damals geraten wurde, eine Therapie zu machen. Ich machte eine Gruppentherapie und anschließend eine Traumatherapie. Und ich bin überzeugt, dass mir diese Therapien buchstäblich das Leben gerettet haben.
In der Therapie stellten sich mir entscheidende Fragen, und ich lernte, eine milde und liebevolle Haltung zu mir zu entwickeln:
- Wovor habe ich wirklich Angst?
- Wie kann ich konstruktiv mit Angst umgehen?
- Was sind meine Bedürfnisse?
- Was sind meine Lebensträume?
- Wie kann ich sie sanft und konsequent erreichen?
Ich begann, anders auf Angst zu schauen: Sie ist meine Freundin, die mir zeigt, an welchen Stellen ich wachsen darf. Die unangenehmen Gefühle, die sie mir schickt, sind ein Signal, dass ich besonders achtsam sein darf. Diese Gefühle können mir nichts tun.
Dadurch veränderte sich mein Leben drastisch. Ich schaffte es, ehemals bedrohliche Situationen als Chance zu begreifen, und mittlerweile spiele ich mit meiner Angst.
Ich höre mir ihre Geschichte an und entscheide, was ich davon glaube und was nicht.
Es macht mir sogar Spaß, in die Erfahrung zu gehen und immer wieder zu sehen, dass viel schönere und wertvollere Dinge geschehen können, als meine Angst mir vorher erzählt hat.
Ich habe meinen Job gekündigt.
Manchmal habe ich Angst vor dem Ungewissen.
Angst zu scheitern und vernichtet zu werden.
Aber ich gehe weiter und bin gespannt, was mir das Leben schenkt.
Liebe Grüße
Thomas